Lippische Landeskirche geht weiteren Fällen sexualisierter Gewalt nach – Ansprechstellen für Betroffene in Detmold und Blomberg

Kreis Lippe/Detmold. Die Lippische Landeskirche geht zwei weiteren Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt nach. Anfang dieses Jahres waren bereits zwei Fälle aus den 1980er und 1990er Jahren veröffentlicht worden.

Zwei betroffene Personen hatten diese Fälle über die Meldestelle bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. (Diakonie RWL) und über die Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gemeldet. Die Landeskirche richtete daraufhin zwei Ansprechstellen in Lippe für weitere Hinweise und Meldungen ein. Kurze Zeit später wurde unter großem Interesse der Öffentlichkeit die Studie zu sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen im Bereich der EKD und der Diakonie (ForuM-Studie) veröffentlicht.

In den darauffolgenden Monaten haben die Lippische Landeskirche Meldungen von zwei weiteren Betroffenen und drei Hinweise von Zeitzeugen zu den beiden bereits veröffentlichten Fällen erreicht. Eine Meldung einer Betroffenen und drei Zeugenhinweise sind zu zwei weiteren Fällen eingegangen.

Hierbei handelt sich zum einen um sexualisierte Gewalt in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Heiligenkirchen in der Zeit von Februar 1971 bis November 1972. Dieser Fall ist durch Zeugen, ausgelöst durch die Veröffentlichung der ForuM-Studie, Verantwortlichen der Kirchengemeinde bekannt gemacht worden. Nach Einsicht der Akten zeigt sich folgendes Bild: Der damalige und inzwischen verstorbene Pfarrdiakon der Gemeinde, Adriaan T., war als Angestellter der Lippischen Landeskirche unter anderem tätig in der Kinder- und Jugendarbeit und in der Katechumenen- und Konfirmandenarbeit der Kirchengemeinde. In dieser Zeit ist es zu sexualisierter Gewalt gegenüber zwei Kindern gekommen. Es gibt Hinweise, dass es weitere Betroffene geben könnte. Nach einer – allerdings sehr verspäteten – Strafanzeige durch den damaligen, inzwischen ebenfalls verstorbenen Pfarrer ist der Pfarrdiakon im August 1973 vom Landgericht Detmold wegen Unzucht mit Kindern zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Landessuperintendent Dietmar Arends: „Leider haben die damaligen Verantwortlichen viel zu spät gehandelt. Auch hat es offenbar keine weitere Bekanntmachung, Aufklärung und Aufarbeitung in der Gemeinde gegeben. Die Betroffenen waren nicht im Blick; ihnen wurde keine Unterstützung angeboten. Das bedauern wir zutiefst.“

Der zweite Fall betrifft Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den verstorbenen Pfarrer Friedrich B., der von 1972 bis 1980 in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Detmold-West sowie von 1980 bis 1984 in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Wöbbel (Schieder-Schwalenberg) tätig war. Hier wurden im Rahmen der Recherche für die ForuM-Studie Vorwürfe sexualisierter Gewalt in mehreren Fällen, die sich auf die Detmolder Zeit beziehen, in der Personalakte entdeckt und es ist ein Zeugenhinweis in einer Ansprechstelle eingegangen.

Zudem hat sich nach Veröffentlichung der ForuM-Studie eine betroffene Person aus der Zeit in Wöbbel gemeldet. „Die Auswertung der Akten hat gezeigt, dass Verantwortliche im Landeskirchenamt damals von sehr konkreten Vorwürfen sexualisierter Gewalt Kenntnis hatten, daraus aber keinerlei Konsequenzen gezogen haben. Weder haben sich die Verantwortlichen um die Betroffenen und ihre Familien gekümmert, ihnen Hilfe und Unterstützung angeboten, noch wurden straf- oder disziplinarrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten eingeleitet“, so Dietmar Arends. Derzeit werde geprüft, ob heute noch disziplinarrechtliche Schritte gegen Verantwortliche möglich sind.

„Wir möchten Sie, als betroffene Personen, um Entschuldigung bitten für das, was Ihnen in der Lippischen Landeskirche widerfahren ist, und für das inakzeptable Vorgehen der Verantwortlichen. Wir sind fassungslos über all das, was wir inzwischen wissen, und schämen uns dafür, dass kirchlich Mitarbeitende das selbstverständliche Recht auf Unversehrtheit mit Füßen getreten haben. Zugleich versichern wir, dass wir heute und in Zukunft alles dafür tun werden, damit sexualisierte Gewalt keinen Platz in unserer Kirche haben wird. Wir möchten alle Betroffenen von sexualisierter Gewalt im Bereich der Lippischen Landeskirche ausdrücklich ermutigen, sich an eine unserer Ansprechstellen zu wenden.“

 

Präventionsmaßnahmen und Stand der Aufarbeitung

Um zu verhindern, dass ein ähnliches Versagen in der kirchlichen Arbeit heute erneut vorkommen kann, arbeiten die Landeskirche und ihre 65 Kirchengemeinden mit Schutzkonzepten und Schulungen sowie mit Ansprechpersonen und Interventionsteams bei Verdacht auf Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt.

In Planung ist ein Studientag zur ForuM-Studie und den Konsequenzen aus den Ergebnissen. Der Studientag richtet sich insbesondere an Kirchenälteste, Pfarrpersonen, Mitarbeitende in der Jugendarbeit und in Kindertagesstätten, ist aber auch offen für andere.

Zur Unterstützung der weiteren Aufarbeitung von Fällen hat die Landeskirche eine Stabsstelle Sexualisierte Gewalt im Dienstumfang von 75 Prozent besetzt.

Ein ausschließlich mit externen Expertinnen und Experten besetztes Fachgremium  tagt erstmals voraussichtlich im Herbst. Dieses Gremium wird die bisher bekannten und veröffentlichten Fälle sexualisierter Gewalt einzeln überprüfen und die Landeskirche daraufhin beraten, was jeweils an Aufarbeitung zu unternehmen ist. Landessuperintendent Dietmar Arends: „Wir sind auch mit Betroffenen im Gespräch über die Mitarbeit in diesem Fachgremium. Zwei betroffene Personen haben bereits ihre Bereitschaft zur Mitarbeit angekündigt. Dafür sind wir sehr dankbar.“

Ansprechstelle in Trägerschaft der Lippischen Landeskirche
Aufgabe der Ansprechstelle ist es, einen Erstkontakt mit den Betroffenen herzustellen und Betroffenen, ihren Angehörigen sowie Zeitzeugen in einem geschützten Raum zuzuhören.

Gemeinsam wird geklärt, ob eine Weitervermittlung an andere Beratungsstellen oder therapeutische Einrichtungen gewünscht ist und welche anderen Anliegen und Bedarfe Betroffene haben. Auch die Frage, ob und in welcher Form eine Unterrichtung der Landeskirche von den Betroffenen gewünscht wird, kann geklärt werden. Die Ansprechstelle gibt keine Informationen ohne Einwilligung der Betroffenen weiter. Sie steht ausdrücklich auch anderen Personen zur Verfügung, die mit ihrem Wissen zu Fällen sexualisierter Gewalt durch Mitarbeitende im Kontext der Lippischen Landeskirche zur Aufarbeitung beitragen können sowie Kenntnis von einem gegenwärtigen Fall sexualisierter Gewalt haben. Die Ansprechstelle bietet einen geschützten Rahmen, um über weitere Schritte nachzudenken. Auch Mitarbeitende, die der Meldepflicht unterliegen, können hier ein Gespräch führen und sich beraten lassen.

Ansprechperson:

Pfarrerin Susanne Eerenstein (Stellvertretung: Louisa Zimmermann)
Telefon: 05231/99280
E-Mail: ansprechstelle@lippische-landeskirche.de

Der Kontakt ist kostenlos. Frau Eerenstein und Frau Zimmermann sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Weitere Informationen zu den Ansprechpersonen für Betroffene von sexualisierter Gewalt der Lippischen Landeskirche finden Sie unter www.lippische-landeskirche.de/praevention.

 

Unabhängige Ansprechstelle

Trotz der vorhandenen Ansprechstelle innerhalb der Landeskirche kann es vorkommen, dass betroffene Personen das Vertrauen in die Landeskirche verloren haben und keine Beratung durch eine Person wahrnehmen wollen, die der Institution angehört, in der sie Leid erfahren haben. Für diese Situationen kooperiert die Landeskirche mit dem SOS-Kinderdorf e.V., Beratung und Treffpunkt Blomberg. Die Beratungsstelle ist in ihrer Tätigkeitsausübung unabhängig und unterliegt keinerlei Weisungen durch die Landeskirche. Sie ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Daten Betroffener oder möglicher Täterinnen und Täter dürfen nur mit Einwilligung der Betroffenen an kirchliche Stellen weitergegeben werden. Auch hier ist der Kontakt kostenlos.

Ansprechpersonen:

SOS-Kinderdorf e.V.
SOS-Kinderdorf Lippe
Beratung und Treffpunkt Blomberg
Holstenhöfener Str. 4
32825 Blomberg
Holger Nickel und Lana-Katharina Nerowski
Telefon +49 5235 5097930
holger.nickel@sos-kinderdorf.de

 

Meldestelle

Meldungen können Sie auch direkt an die Meldestelle der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe geben:

Die Meldestelle der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe steht Mitarbeitenden der Lippischen Landeskirche, aber auch Dritten zur Verfügung. Ihre Aufgabe ist es, Meldungen entgegenzunehmen, die den begründeten Verdacht darstellen, dass ehren- oder hauptamtlich Mitarbeitende der Lippischen Landeskirche und ihrer Gemeinden im dienstlichen Kontext sexualisierte Gewalt gegen Dritte ausgeübt haben, und an das zuständige Leitungsorgan zur Bearbeitung weiterzuleiten. Kontaktsuchende haben die Möglichkeit, sich hier bei der Einschätzung, ob ein Verdacht begründet ist, beraten zu lassen. Die Meldestelle bietet den Leitungsverantwortlichen Unterstützung im Rahmen des geltenden Handlungs- und Notfallplans an. Dieser beinhaltet Maßnahmen zur Intervention und Prävention.

Ansprechperson:

Birgit Pfeifer
Referentin Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung
­Telefon: 0211-6398-342
­E-Mail: b.pfeifer@diakonie-rwl.de

Weitere Informationen zur Meldestelle der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe finden Sie unter www.diakonie-rwl.de/themen/aktiv-gegen-sexualisierte-gewalt/meldestelle-verdachtsfaelle .