Zwei Personen in Diskussionsrunde
Dieter Bökemeier im Gespräch: mit dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani.

Differenziert und kenntnisreich

Navid Kermani in Detmold zu aktuellen Themen

Detmold. Ob Gaza-Krieg oder „Stadtbild“-Diskussion – die Themen waren aktuell, die Fragen schwierig. Navid Kermani, Orientalist und vielfach preisgekrönter Schriftsteller mit iranischen Wurzeln, war am Sonntag (26.10.) zu Gast in Detmold.

Eingeladen hatte ihn das Forum Offenes Detmold gemeinsam mit der Lippischen Landeskirche und der Buchhandlung Kafka & Co.

Einfache Antworten hatte Kermani nicht. Die geben andere. Doch auf die Fragen, die Landespfarrer Dieter Bökemeier ihm stellte, antwortete er differenziert, ohne auszuweichen, und kenntnisreich, ohne abzuschweifen. So waren auch die beiden Reden, die er aus seinem neuen Buch „Wenn sich unsere Herzen gleich öffnen“, vorlas.

Der Krieg in Gaza: Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 sei durch nichts zu rechtfertigen. Es war der eindeutige Grund für den Krieg. Dies klar zu sehen und zu benennen, bedeute nicht, Israels Kriegführung zu rechtfertigen. Und Israels Kriegsziele hätten nichts mehr mit dem ursprünglichen Grund zu tun. Gibt es Hoffnung auf Frieden? „Menschen schließen Frieden, wenn sie merken, dass ihnen der Krieg nichts bringt“, sagte Kermani. Einen wesentlichen Faktor sieht er hier in den Golfstaaten: Sie seien an Geschäften interessiert, nicht zuletzt mit den USA, und Geschäfte bräuchten Stabilität.

Die von Bundeskanzler Merz ausgelöste Diskussion um das „Stadtbild“: Ja, es habe sich in bestimmten Bereichen und Vierteln etwas verändert, sagte Kermani. Es gebe Verwahrlosung, in der Kölner Innenstadt etwa, wo der Autor wohnt, habe das hemmungslose „Wildpinkeln“ überhandgenommen. Drogenhandel und Alkoholismus seien auch in anderen Städten sichtbarer als früher. Aber: „Es ist extrem verkürzt, wenn man suggeriert, dass das durch Abschiebung zu lösen wäre. Sie verkaufen die Leute für dumm, wenn dies als die eine Lösung propagiert wird.“

Am 6. September 2024 hielt Kermani eine Rede zur Spielzeiteröffnung des Leipziger Gewandhausorchesters – fünf Tage, nachdem bei der Landtagswahl in Sachsen 30,6 Prozent für die AfD gestimmt hatten. Der Redner malte sich aus, dass sein Sitznachbar beim anschließenden Konzert zu diesen 30,6 Prozent gehören könnte. In einem Gedankenspiel würde er, das Einwandererkind, mit ihm über die verbindende Kraft der Kulturen der Welt sprechen, die sich gegenseitig befruchten. „Lassen Sie uns gemeinsam überlegen“, würde er zu seinem Nachbarn sagen, „wie die Sprache, die Musik, die Literatur gefördert werden können, statt sie durch nationale Zuschreibungen einzuengen.“ Und: „Ich liebe Deutschland bestimmt nicht weniger als Sie, der Sie mich hier nicht haben wollen.“

29.10.2025